Vortrag Prof. Dr. Blaschke

Vortrag, gehalten von Professor Dr.phil.habil. Karlheinz Blaschke

in Weimar am 6.11.1999

Die Anfänge der Familie Fritsch liegen im Leipziger Buchhandel um 1700. Damals hatte Leipzig Frankfurt überrundet und hatte sich an die Spitze des europäischen Buchhandels gestellt. Die Leipziger Buchmessen waren konkurrenzlos. Und Buchhändler in Leipzig zu sein in dieser Zeit, das bedeutete eben nicht, dass man nur Bücher verkaufte, sondern dass man verlegerischen Weitblick hatte, einen unternehmerischen Sinn, eine Erfahrung, dass man umgehen konnte mit den Vertretern der Wissenschaft, Universität, und so fort, und dass es darüber hinaus eine personale Verflechtung zwischen den einzelnen Buchhändlerfamilien gab. In diese ganze, von der Aufklärung beherrschte bildungs- und geistesgeschichtliche Situation, in der Leipzig ein Zentrum gewesen ist, war auch die Familie Fritsch eingebunden. 
  
Einige Personendaten sollen zumindestens kurz illustrieren, welcher große auch personengeschichtliche Hintergrund am Anfang dieser Aufsteigerfamilie gestanden hat. Die Mutter des Buchhändlers Thomas Fritsch des älteren (1666 – 1726) war Katharina Margareta Götze, die Tochter des Buchhändlers Thomas Matthias Götze - und der Margareta Merian. Diese Margareta Merian war keine geringere als die Schwester von Maria Sybilla Merian, die bekannt ist durch ihre farbigen Kupferstiche. Beide waren sie Töchter des berühmten Matthäus Merian in Frankfurt.


Der Stiefvater Thomas des älteren - sein Vater war relativ früh gestorben - war Johann Friedrich Gleditzsch. Und auch die Gleditzsche sind wieder eine große Dynastie in der Leipziger Buchhändlergeschichte. Man kann also hineingreifen in eine Bildungsaristokratie, wenn man diese Buchhändlergestalten sich ansieht. Das entscheidende ist, dass dabei auch die Frauen eine Rolle spielen. Es würde nicht weiterführen in die ganzen Beziehungen hinein, wenn man nicht die Ehefrauen und die Töchter dieser Buchhändlerfamilien mit berücksichtigte, denn sie haben ja oftmals erst die Verbindungen hergestellt, wie am Beispiel der Tochter Merian zu sehen ist. 

Thomas der jüngere, also nun der Sohn dieses Buchhändlers Thomas des älteren, heiratet Sophia Winckler v.Dölitz. Bei ihrer Familie handelt es sich um die großbürgerliche Familie Winckler - bürgerlich, draußen aber, auf ihren Gütern, hießen sie von Dölitz. Und hier packen wir schon etwas, was wiederum wichtig ist für dieses Spannungsverhältnis von Bürgerlichkeit und Adeligkeit. Es gab eben eine Zwischenschicht zwischen beiden Ständen, und gerade in Leipzig sind durch die besonderen Verhältnisse des Großbürgertums und des Bildungsbürgertums solche Zwischenpositionen bereits vorgebildet gewesen. 
  
Die Mutter dieser Frau von Thomas Fritsch dem jüngeren war die Tochter des Superintendenten Johann Dornfeld in Leipzig. Kirche als Kanal des sozialen Aufstiegs, auch das fällt hinein in die Geschichte der Familie Fritsch. Eine Summe von intellektuellen und kaufmännischen Leistungen ist hier zusammengewachsen. Natürlich auch eine Summe von Kapitalausstattung, ohne die Buchhandel nicht möglich war. Aber eben auch eine Summe von Erfahrung und Bildung. Und damit war der Weg geebnet für den standesmäßigen Aufstieg. 
  
Soziale Mobilität tritt überall dort auf, wo eine Gesellschaft lebendig ist und wo Führungsschichten sich von unten her erneuern. So ist der ganz allgemeine Hintergrund zu sehen, vor dem nun der soziale Aufstieg der Familie Fritsch zu sehen ist. Leistung, Dienst, Ehre waren die drei Begriffe, die ihn geprägt haben. 
  
Beim Adel tritt die Ehre mit einem besonderen Gewicht auf. Sie äußert sich in Dienst, der eine personale Prägung besitzt. Das Wort Dienst ist etymologisch sehr vielgestaltig und man kann gar manches hineinlegen. Dienen heißt eigentlich ‘Knecht sein’ und das hängt zusammen mit Demut, mit einem Gefühl der Untergebenheit. Aber Dienst kann eben in diesem Sinne, im adligen Dienst, auch darauf hinweisen, dass hier kein Frondienst gemeint ist, kein Zwang, sondern ein Dienst mit Selbstbewusstsein. Hinter ihm steht eine Standesehre, die im Entscheidungsfall auch einen Austritt aus diesem Dienst gebieten kann, einen freiwilligen Austritt. Denn adliger Dienst schließt immer die Gegenseitigkeit mit ein, die Gegenseitigkeit zum Übergeordneten, normalerweise zum Fürsten. Es ist ein freier Dienst, kein blinder Gehorsam.   
Es gibt in der Geschichte der Familie von Fritsch zwei herausragende Ereignisse, in denen dieser Verzicht auf den Dienst, dieser Austritt aus dem Dienst dann praktiziert worden ist. Thomas von Fritsch der jüngere schied 1742 aus dem kursächsischen Dienst und ging in den Reichsdienst, weil er unter den Bedingungen des kursächsischen Premier-Ministers Grafen Brühl gewissensmäßig nicht mehr in der Lage war, diesen Dienst zu versehen. Er meldete sich kritisch zu Wort. Sein Gewissen hatte ihm diesen Schritt nahegelegt. Bis er schließlich 20 Jahre später erneut in den alten Dienst eintrat, um des Landes willen. Und dort hat er sich ja dann in größter Weise entfaltet. Erst zu Beginn seines siebenten Lebensjahrzehnts trat er in die schöpferische Phase seines Lebens ein, in der sich alle seine Anlagen und Erfahrungen voll entfalten sollten. 

Wenn man sich mit dieser für die sächsische Geschichte so wichtigen Person befasst, und dazu gibt es genügend Anlass, wird deutlich, dass er eben aus einer durch und durch bürgerlichen Familientradition kam. Er war ihr auch nach seiner Nobilitierung betont verbunden. In der elterlichen Buchhandlung war eine größere Zahl wichtiger Werke der europäischen Frühaufklärung, der pietistischen Theologie und der Kameralistik verlegt worden. Geschäftsverbindungen bestanden in die Vereinigten Niederlande, nach Frankreich, England und Skandinavien. Auf seinen intensiv erlebten Bildungsreisen hatte der junge Fritsch die fortgeschrittenen Verhältnisse Westeuropas kennen gelernt. In Paris war er mit dem späteren König Stanislaw Poniatowski von Polen, mit den französischen Enzyklopädisten und namhaften Geistern der westeuropäischen Aufklärung zusammengekommen, was seine rationalistische Grundhaltung bestärkte. 
  
Von den politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen in England war er tief beeindruckt. Das Zusammenspiel der politischen Parteien, die Pressefreiheit und das staatsbürgerliche Bewusstsein stellte er der servilen Haltung der deutschen Untertanen gegenüber. Sein besonderes Interesse richtete sich auf die Fragen der Volkswirtschaft in den europäischen Staaten, so dass er mit einem weiten Bildungshorizont an seine neue Aufgabe herantreten konnte. 
  
Unter seinem Vorsitz wurde in langjährigen Beratungen zwischen Österreich, Preußen und Sachsen schließlich 1763 der Friede von Hubertusburg ausgehandelt, wobei Fritsch noch harte Gespräche mit dem Preußenkönig in Meißen und Leipzig durchstehen musste. Mit Gewandtheit und Charakterfestigkeit setzte er trotz der ungünstigen Lage Kursachsens erträgliche Bedingungen für sein Land durch. So bewies er zusätzliche Fähigkeiten in der Innen- und Wirtschaftspolitik und auch seine Begabung auf dem Felde der Diplomatie. Hier kam ihm seine tiefe Abneigung gegen den Krieg und gegen das Militär entgegen, die ihn und seine Gesinnungsfreunde nach 1763 auch dazu bewogen, sich allen Plänen für eine Verstärkung der kursächsischen Armee zu widersetzen. Als einem echten Aufklärer ging es ihm in erster Linie um die Glückseligkeit der menschlichen Gesellschaft, so dass ihm die Förderung des „alles belebenden Comercius und des Handels zum freien Wettbewerb“ am Herzen lag. Von daher ist seine starke Neigung für die ökonomische Seite der Staatsverwaltung zu verstehen, für deren Studium ihm in seiner Bibliothek eine reiche volkswirtschaftliche Fachliteratur zur Verfügung stand. Die Realien waren ihm wichtiger als die Formalien.   
Fritsch blieb Zeit seines Lebens ein Mann bürgerlicher Denkungsart. Er trat für die Abschaffung altadliger Standesvorrechte ein, die ihm, als einem neuadligen Rittergutsbesitzer, die Zugehörigkeit zum kursächsischen Landtag verwehrte. Mit seinem leidenschaftlichen Pathos der Aufklärung nahm er künftige liberale Grundsätze staatlichen Lebens vorweg, so dass er als Haupt einer republikanischen oder anglikanischen Partei in der kursächsischen Staatsregierung gelten konnte, die an eine Umformung der Landstände im Sinne des englischen Parlaments dachte, um die sächsische Staatsverwaltung zu Gunsten des dritten Standes umzugestalten und früh konstitutionelle Verhältnisse zu schaffen. 

Bürgerlichkeit und Adeligkeit begegnen sich in diesem großen Vertreter der Familie. Geist und Stand, Inhalt und Form treffen sich in diesem Mann. Sprichwörter haben manchmal die Eigenart, dass sie nicht ganz zutreffen. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Der älteste Sohn dieses Thomas von Fritsch war inhaltlich bildungsfest, funktional, dienstmäßig durchaus vom Stamme des Vaters gefallen, aber geographisch eben doch weit weg. Denn der Stamm, der in Sachsen stand, brachte dann einen Apfel in Weimar zu Boden. Auch das ist eben typisch. Der Vater Fritsch hat offenbar seinem Sohn es nicht zumuten können, in einem Staatsgebilde Dienst zu tun, dem er selber hatte den Rücken kehren müssen. Und so erklärt sich der Übergang des Sohnes nach Weimar. 
  
Ein jüngerer Sohn, um das vorweg zu sagen, Karl Abraham Graf von Fritsch wurde kursächsischer Kanzler, trat also in den geographischen, politischen Bereich Sachsens ein. Aber der ältere, Jakob Friedrich, dem Weimar seinen Stand als Leistungsgrundlage der Familie Fritsch verdankt, ging nun nach Weimar. Er wechselte aus freien Stücken den Dienstherrn; vom Kurfürsten von Sachsen zum Herzog von Sachsen-Weimar. Und so hätten wir in ihm den zweiten Spitzenvertreter der Familie vor uns. Er ist jahrzehntelang leitender Staatsminister gewesen. Minister, auf deutsch Diener, Staatsdiener, nannten sich diese Menschen. Es gab damals ein anderes Verständnis vom Worte Diener als dies heute der Fall ist. Das war eben nicht ein Kammerdiener, sondern der Diener eines Fürsten. Mit all den Vorstellungen, die zu diesem Fürstendienst gehören. 
  
Das Herzogtum Sachsen-Weimar war ein kleines, aber doch bedeutendes Territorium, das unter Regentschaft stand, da der junge Herzog Ernst August Constantin noch nicht regierungsfähig war. 1754 heiratete Ernst August Constantin Prinzessin Anna Amalia von Braunschweig-Wolfenbüttel. 1756 wird er regierungsfähig und stirbt nach zwei Jahren, nach zweijähriger Ehe mit Anna Amalia. Als Regentin hat sie nun in der langen Zeit der Minderjährigkeit ihres Sohnes Carl-August die schwere Aufgabe, die Regierung zu führen. Und hier war ihr eben dieser Jakob Friedrich von Fritsch ein unentbehrlicher Gehilfe. 1775 kam Carl-August schließlich in die Regierung. Und da begannen Schwierigkeiten, die nun wieder das Problem aufgeworfen haben, wie lange und wie intensiv kann man als Adliger einem Herren dienen, mit dem man nicht übereinstimmt. Wie lange kann man in einem solchem Dienst bleiben? Kann man das mit seinem Gewissen vereinbaren? Sein Versuch, aus diesem Dienst auszuscheiden, ist durch seine Dienstherrin verhindert worden, denn Anna Amalia hat ihn nicht ziehen lassen. 

Er lebt in diesem Dienst als das stabile Element des Herzogtums. Er ging in diesem Dienst auf. Es gibt Äußerungen von ihm, die deutlich machen, dass er nicht nach Gunst strebte, nicht nach Eitelkeit, nicht nach Einfluss, sondern dass ihm das unerschütterliche Vertrauensverhältnis zwischen Fürstin und Staatsdiener am wichtigsten gewesen ist: Pflichterfüllung, Ehre zieht Pflichterfüllung nach sich. Und das war im Verhältnis zu Anna Amalia erreicht. Aber mit dem Fortschreiten des Alters von Carl-August begann das Ringen um den Erbprinzen gegen dessen Erzieher. Hier wurde erneut die Geduld und die Dienstbereitschaft unseres Jakob Friedrich auf harte Proben gestellt. Es begann das Ringen zwischen den Verführern auf der einen Seite und dem konsequenten Diener des Staates auf der anderen Seite, der zu sein Jakob Friedrich sich beliebte. Er versuchte den Jungen an manche Arbeiten im Consilium zu gewöhnen, um ihn vorzubereiten auf seine fürstliche Regierungszeit. Fritsch selber war 22 Jahre im Dienst gewesen. Jetzt wehrte er sich gegen bürgerliche Eindringlinge, die der junge Herzog mitbrachte, so auch gegen Goethe. Erst nach heftigem inneren Ringen war er zur Weiterarbeit bereit, wobei er keinen Hehl machte aus seiner Ablehnung gegen „alle diese großen Männer wie Wieland, Goethe und andere lumina mundi, denen ich, Fritsch, einen Mann wie Gellert vorziehe, weil der nicht frivol und schlüpfrig war“. Seine Meinung.   
Karl-Heinz Hahn, später Direktor des Goethe- und Schillerarchivs, urteilt in seinem Buch: „Jakob Friedrich Freiherr v. Fritsch, Minister im klassischen Weimar“ über ihn:  

„Das ist eben nicht ein Dienen auch um jeden Preis, sondern ein Dienen aus einer inneren Freiheit. Von nun auf war Fürstendienst seine Bestimmung. Von jeher hatte der Adel seine Vorrechte auf hervorragende persönliche Dienste für Kaiser und Fürsten zurückgeführt. Und auch der junge Adel der absolutistischen Zeit, dem Fritsch entstammte, wollte darin nicht zurückstehen. Dieser Gesichtspunkt leitete die Erziehung, die Fritsch im Elternhaus genoss. Aber noch ein anderes Moment, das vornehmlich im bürgerlichen Erbe seiner unmittelbaren Vorfahren begründet war, kam dazu. Man bejahte die Lebensführung und Tätigkeit des Fürsten nicht bedingungslos sondern übte jederzeit Kritik. Fürstendienst hieß für Fritsch nicht irgendeinem Fürsten dienen und dessen Entgleisungen ausgleichen, sondern nach dem nach den Anschauungen seiner Zeit vollkommenen Fürsten zu suchen. Daraus ergab sich eine doppelte Aufgabe für ihn. Land und Leuten gegenüber musste er den vollkommenen Fürsten vertreten, diesem selbst jedoch sowohl Beamter als auch Berater und Mahner sein. Sowohl die fürstlichen Interessen vertreten als auch auf die Pflichten des fürstlichen Dienstes aufmerksam machen. 
Je besser es ihm gelang, jeden Widerspruch auszugleichen, um so fruchtbarer konnte seine Arbeit sein. Eine unerlässliche Voraussetzung dazu war ein festes Vertrauensverhältnis zwischen Fürst und Staatsdiener. So wie das erschüttert war, gab es für ihn als ersten Minister nicht mehr die Möglichkeit zu einem offenen und kritischen Wort und seine ganze Stellung schien unhaltbar. Fritsch huldigte der Auffassung, dass Fürsten auch Menschen seien, Menschen, die aufgrund ihrer Geburt ganz bestimmte Pflichten zu erfüllen haben. Aus dieser Einstellung erklärt es sich, dass er so häufig seinen Fürsten kritisiert hat. Dienst in Freiheit“.   


Als dann schließlich die Entlassung durch Herzog Carl-August im Jahre 1800 kam, die Fritsch mit Bedauern zur Kenntnis genommen hat, schrieb er ihm einen Abschiedsbrief und unterzeichnete mit den Worten: „Untertänigst gehorsamster Freiherr von Fritsch.“ Man kann in diese fünf Wörter eine ganzen Philosophie von Dienst und Freiheit, von Herrschaft usw. einschließen. Er ist untertänigster Gehorsamster, aber er unterschreibt eben auch ‚Freiherr von Fritsch‘ und macht damit seinem Herzog deutlich, was er eigentlich ist. Ist das nicht auch ein bemerkenswertes Selbstzeugnis für adlige Ehre?   
Es wäre dann einiges zu sagen, über verschiedene weitere Familienmitglieder. Jakob Friedrichs Sohn, Friedrich, hatte wieder einen kurzen Aufenthalt am Dresdner Hof, ging dann in eine Vertrauensstellung bei Carl-August, kehrt also zurück an den Ort des Vaters. Sein Bruder Carl-Wilhelm, wie der Vater leitender Minister in Weimar, hat die Wartburg zur Verfügung gestellt für die Burschenschaft in der Bereitschaft, auch den vorwärts drängenden gesellschaftlichen Kräften entgegenzukommen. Von Carl-Wilhelm ist bekannt, dass er deswegen mit dem allgewaltigen Metternich eine Auseinandersetzung gehabt hat, indem Metternich sich für ein Gespräch verweigert hat. ‘Dem weimarischen Gesandten würde er keine Gesprächsmöglichkeit geben’, aus politischer Verstimmung gegen diesen freieren Geist. Und darauf kommt Carl-Wilhelm mit der Frage, ob er auch persönlich dem Baron Fritsch das Gespräch verweigern würde. Daraufhin nahm Metternich das Gespräch an und die Sache war beigelegt. Personalität als eine wesentliche Eigenschaft des Adels kommt hier zum Ausdruck.   
Wir finden im 19. Jahrhundert einen Otto Freiherr von Fritsch, der Kaufmann in Amerika wurde. Man könnte sagen - gewiss -, dass die bürgerlichen Traditionen wieder durchkommen. Einer, Karl-Georg von Fritsch wurde Professor für Theologie und Mineralogie, Präsident der kaiserlichen Akademie der Naturforscher in Halle, der Leopoldina, und natürlich gehen auch eine Reihe von Männern in den militärischen Dienst. Sei es in Sachsen-Weimar, sei es im Königreich Sachsen. 
  
Wir wollen nicht die Frauen dieser Familie vergessen. Eine ist auch wieder im Dienst aufgegangen, im Dienst für ihre Großherzogin. Von Maria Pawlowna ist oft die Rede, der Ehefrau des Großherzogs Karl-Friedrich wenn es um die Geistesgeschichte des frühen 19. Jahrhunderts geht. Aber es ist niemals davon die Rede, dass dieser bemerkenswerten Frau, der Tochter des russischen Zaren, eine Constanze Gräfin von Fritsch als Hofdame zur Seite gestanden und bis zu Ihrem Ende diesen Dienst lebenslang treu verrichtet hat, Ehe-Angebote ausgeschlagen hat, um von 1804 an - in sehr jungen Jahren - dieser Fürstin, dieser Großherzogin, zu dienen, später als Oberhofmeisterin. 

Die letzte herausragende Gestalt wäre rückblickend dann Werner von Fritsch. Wobei sich auch wieder die Frage nach dem adligen Wesen und nach der Eigenschaft und dem Verhalten stellt. Der Oberbefehlshaber des Heeres in den 30er Jahren unseres Jahrhunderts. 1880 geboren, der 1939 gefallen ist. Ein Mann, der im Dienst an der Sache aufgegangen ist, der von strenger Pflichtauffassung und betonter Religiosität geprägt war. Der sich als hochbegabter, militärischer Führer erwiesen hat, politisch sehr zurückhaltend geblieben ist nach dem Vorbild Seeckts - des Mannes, der die Reichswehr geprägt hat - und der 1934 noch durch Hindenburg - und das war für ihn wichtig, denn Hindenburg war der Feldherr des ersten Krieges - zum Chef der Heeresleitung bestellt worden ist. Der sich in seiner wichtigen Stellung trotzdem politische Abstinenz auferlegt hat und immer davon überzeugt war, da er geglaubt hat, dass es auch unter den Bedingungen des Dritten Reiches eine Möglichkeit loyaler Pflichterfüllung geben würde. Er blieb in der Defensive, er hat nicht erkannt, in welch abgrundtiefem Gegensatz zum Nihilismus Hitlers seine eigene hohe Ethik gestanden hat, abgrundtiefer Gegensatz zur schrecklichen Zerstörungs- und Vernichtungswut dieses Regimes. 
  
Hätte er ausweichen können, sollen, wie Thomas 1742, wie Jakob Friedrich 1800? Das sind Fragen, die sich im Vergleich innerhalb der Familiengeschichte ergeben. Aber jede Zeit setzt andere Bedingungen, und so ist sehr die Frage, ob sich Werner von Fritsch genauso hätten verhalten können, wie seine Vorfahren im 18. Jahrhundert. Er hat ein würdiges Ende gefunden, einen Tod auf dem Felde der Ehre. Und auch Würde ist ein Bestandteil adligen Wesens. 
  
Im Jahre 1945 ist die Familie von Fritsch in die Katastrophe des mitteldeutschen Adels hineingezogen worden. Traditionelle Grundlagen adliger Lebensführung sind ihr entzogen worden, genauso wie allen anderen mitteldeutschen adligen Familien. Aus Adligkeit im äußeren Sinne ist sie zurückgeworfen worden in Bürgerlichkeit, wenn man die beruflichen Verhältnisse sieht. Aber sie ist auch aufgefangen worden in bürgerlichen Berufen und Lebensverhältnissen. Weit verstreut, entfernt von dem adligen Haus, das ja lange Zeit das Zentrum der Familie gewesen ist. Ohne Bindungen an dieses adlige Haus, das frevelhaft verwüstet und zerstört worden ist. Der Mittelpunkt der Familie äußerlich war nicht mehr da. Als Schutz und Schirm wie es bei Jakob Friedrich war, der eben - wenn er es hier in Weimar satt hatte - nach Seerhausen flüchten konnte. 
  
Und trotzdem gibt es nun doch einen Unterschied zu bürgerlicher Existenz im landläufigen Sinn des Wortes. Über Generationen hatte der Familie und ihren Angehörigen sich adlige Lebensgestaltung aufgeprägt, sie war einbezogen in diese Gestaltung, hat adlige Dienstauffassungen, adlige Gesinnung, adlige Kultur praktiziert. Und das sind die bleibenden Grundlagen für die weitere Existenz der Familie.